Was ist das erste Gericht, dass Sie nach ihrer Entlassung mit Ihren Lieben kochen und essen möchten? Belia Zanna Geetha Brückner steht in einer fortlaufenden Recherche mit Inhaftierten verschiedener Strafvollzugsanstalten in mehreren Ländern im Briefwechsel und fragt sie nach ihren Rezepten der Freiheit. Die Antworten, die sie darauf bekommt, bringt sie nun in A good theory in theory (Eine gute Theorie in der Theorie) in Außenbereich der GAK zusammen. Der Titel der Ausstellung ist Antonio Negri entliehen, der davon spricht, dass eine gute Theorie in der Theorie möglicherweise eine schlechte in der praktischen Anwendung ist.
Der italienische Philosoph, Staatstheoretiker, Teil der radikalen linken Bewegung Autonomia Operaia sowie Autor, erlebte die Gefängnishaft am eigenen Leib, was sowohl sein persönliches Leben als auch sein theoretisches Werk beeinflusste. Auch Rezepte können als Theorien gelesen werden, die eine Umsetzung benötigen. Zugleich lassen sich Negris Ausführungen auf das System Gefängnis übertragen, das als Theorie zur sogenannten Resozialisierung plausibel klingt, in der Praxis in vielen Staaten jedoch nicht das einhalten kann, was es verspricht.
So begibt sich Belia Zanna Geetha Brückner mit A good theory in theory in das Spannungsfeld zwischen den politischen Funktionen von Esskulturen und dem Strafvollzugssystem: Gemeinsame Mahlzeiten stiften Geselligkeit, sie fördern Zugehörigkeit und Austausch untereinander und nicht selten werden am Essenstisch Konflikte gelöst, wichtige Entscheidungen getroffen, aber auch Erinnerungen geteilt. In deutschen Justizvollzugsanstalten werden Mahlzeiten kaum gemeinsam eingenommen.
Für die Ausstellung in den Posterrahmen im Außenbereich der GAK collagiert Brückner die erhaltenen Rezepte mit gebrauchten Geschirrtüchern und schafft Sichtbarkeit im Öffentlichen für Stimmen, die sonst separiert vom gesellschaftlichen Leben bleiben.
Neben den Rezepten füllt Brückner zwei der Posterrahmen mit gestickten Kontexten: Darunter eine Darstellung der Protestaktion zweier Stopp Oil-Aktivist*innen während der Snooker Weltmeisterschaft 2023. Diese Stickerei gibt den Kontext zur Inhaftierung einer ihrer Briefpartner*innen.
In ihrer künstlerischen Praxis erforscht Belia Zanna Geetha Brückner Machtstrukturen in neoliberalen Gegenwartsgesellschaften, sucht nach Ambivalenzen in Demokratieerzählungen und gesellschaftlicher Teilhabe und nutzt dafür Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetze, Dokumente aus Archiven sowie Interviews und andere Formen des Austausches mit Beteiligten. Rezepte scheinen in dieser Reihung zunächst eher banal, haben aber durchaus einen demokratischen und emanzipatorischen Charakter. Sie vermitteln Wissen und Kultur und sind dabei mitnichten verpflichtend, denn Zutaten können ausgelassen, hinzugefügt oder ersetzt, Mengenangaben halbiert und erweitert werden. Rezepte fordern Beteiligung ein und entfalten erst beim Interpretieren und in der Umsetzung durch eine Köchin ihren vollständigen Sinn. Das Zubereiten und der Zugang zu Lebensmitteln ist während einer Haft stark eingeschränkt und finanziell durch ein Monopol der Firma Massak GmbH enorm belastet. Zudem werden die staatlich servierten Mahlzeiten meist einzeln in der Zelle eingenommen. Dies verstärkt den ohnehin desintegrierenden Charakter der Haft. A good theory in theory ist ein Dialog mit Inhaftierten und über deren Wunsch nach körperlicher Selbstbestimmung und zugleich eine Einladung an Vorbeigehende, sich beim Nachkochen der Rezepte über Theorien und deren Praxis auszutauschen.
Künstlerin
Belia Zanna Geetha Brückner (*Mönchengladbach) studierte zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am Goldsmiths, University of London. Ihre recherchebasierten Arbeiten wurden unter anderem mit dem Karl H. Ditze-Preis und mit dem Max Ernst-Stipendium ausgezeichnet und in Einzel- sowie Gruppenausstellungen im Kunstverein Dortmund (2024), im Künstlerhaus Bethanien Berlin (2024), im Kunstverein Gastgarten Hamburg (2024), im City Surfer Prag (2023), der Goldsmiths University London (2023) und dem EIGEN+ART Lab Berlin (2022) gezeigt. Von 2023 bis 2024 war sie Trägerin des Stipendiums der Hamburger Kulturstiftung zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses.
Ausstellungsreihe „Re-Framing“
A good theory in theory ist Teil der Ausstellungsreihe „Re-Framing“ in den Posterrahmen im Außenbereich der GAK. In mehreren aufeinander folgenden Einzelpräsentationen nehmen die eingeladenen Künstler*innen Sprache zum Ausgangspunkt, um in das spannungsreiche Verhältnis zwischen Wort und Bild zu intervenieren. Sie unterbrechen gewohnte Sehweisen, reflektieren (Un-)Sichtbarkeiten oder schaffen Intimität im Öffentlichen.