Abschlusspräsentation des Bremer Atelierstipendiums 2024.
JIMMI D. PAESLER | Permanente Anheimfallung
Eine retrospektive Einzelausstellung 1967 – 2024
Die Städtische Galerie Bremen zeigt eine große, retrospektive Einzelausstellung von Jimmi D. Paesler.
Damit wird ein Künstler gewürdigt, dessen Vita und künstlerische Entwicklung beispielhaft für die 1960er Jahre bis heute in Deutschland und in Bremen im Besonderen stehen:
Sein innovativer malerischer Ansatz, der seinen frühen künstlerischen Erfolg direkt nach dem Studium in Bremen ermöglicht hat.
Seine durchgehende Auseinandersetzung mit Mitteln, Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen der Malerei.
Seine Politisierung und die daraus resultierende Abwendung vom herkömmlichen Kunstbetrieb zugunsten eines vermehrten Einsatzes seiner Kunst für die demokratische Gesellschaft unter anderem durch großformatige Wandgemälde im Programm Kunst im öffentlichen Raum.
Alle diese Aspekte zeichnen das Werk von Jimmi D. Paesler ebenso aus wie der Humor, der in seinen Arbeiten ebenso wichtig ist wie deren malerischer Realismus.
Die Ausstellung Jimmi D. Paesler – Permanente Anheimfallung beleuchtet das Œuvre des Künstlers seit den späten 1960er Jahren bis heute, einschließlich all der gesellschaftspolitischen Entwicklungen, mit denen sich Jimmi D. Paesler seitdem in seiner Kunst auseinandergesetzt hat.
Laufzeit der Ausstellung: 17.11. bis 19.01.2025
Belia Zanna Geetha Brückner: A good theory in theory
Was ist das erste Gericht, dass Sie nach ihrer Entlassung mit Ihren Lieben kochen und essen möchten? Belia Zanna Geetha Brückner steht in einer fortlaufenden Recherche mit Inhaftierten verschiedener Strafvollzugsanstalten in mehreren Ländern im Briefwechsel und fragt sie nach ihren Rezepten der Freiheit. Die Antworten, die sie darauf bekommt, bringt sie nun in A good theory in theory (Eine gute Theorie in der Theorie) in Außenbereich der GAK zusammen. Der Titel der Ausstellung ist Antonio Negri entliehen, der davon spricht, dass eine gute Theorie in der Theorie möglicherweise eine schlechte in der praktischen Anwendung ist.
Der italienische Philosoph, Staatstheoretiker, Teil der radikalen linken Bewegung Autonomia Operaia sowie Autor, erlebte die Gefängnishaft am eigenen Leib, was sowohl sein persönliches Leben als auch sein theoretisches Werk beeinflusste. Auch Rezepte können als Theorien gelesen werden, die eine Umsetzung benötigen. Zugleich lassen sich Negris Ausführungen auf das System Gefängnis übertragen, das als Theorie zur sogenannten Resozialisierung plausibel klingt, in der Praxis in vielen Staaten jedoch nicht das einhalten kann, was es verspricht.
So begibt sich Belia Zanna Geetha Brückner mit A good theory in theory in das Spannungsfeld zwischen den politischen Funktionen von Esskulturen und dem Strafvollzugssystem: Gemeinsame Mahlzeiten stiften Geselligkeit, sie fördern Zugehörigkeit und Austausch untereinander und nicht selten werden am Essenstisch Konflikte gelöst, wichtige Entscheidungen getroffen, aber auch Erinnerungen geteilt. In deutschen Justizvollzugsanstalten werden Mahlzeiten kaum gemeinsam eingenommen.
Für die Ausstellung in den Posterrahmen im Außenbereich der GAK collagiert Brückner die erhaltenen Rezepte mit gebrauchten Geschirrtüchern und schafft Sichtbarkeit im Öffentlichen für Stimmen, die sonst separiert vom gesellschaftlichen Leben bleiben.
Neben den Rezepten füllt Brückner zwei der Posterrahmen mit gestickten Kontexten: Darunter eine Darstellung der Protestaktion zweier Stopp Oil-Aktivist*innen während der Snooker Weltmeisterschaft 2023. Diese Stickerei gibt den Kontext zur Inhaftierung einer ihrer Briefpartner*innen.
In ihrer künstlerischen Praxis erforscht Belia Zanna Geetha Brückner Machtstrukturen in neoliberalen Gegenwartsgesellschaften, sucht nach Ambivalenzen in Demokratieerzählungen und gesellschaftlicher Teilhabe und nutzt dafür Transparenz- und Informationsfreiheitsgesetze, Dokumente aus Archiven sowie Interviews und andere Formen des Austausches mit Beteiligten. Rezepte scheinen in dieser Reihung zunächst eher banal, haben aber durchaus einen demokratischen und emanzipatorischen Charakter. Sie vermitteln Wissen und Kultur und sind dabei mitnichten verpflichtend, denn Zutaten können ausgelassen, hinzugefügt oder ersetzt, Mengenangaben halbiert und erweitert werden. Rezepte fordern Beteiligung ein und entfalten erst beim Interpretieren und in der Umsetzung durch eine Köchin ihren vollständigen Sinn. Das Zubereiten und der Zugang zu Lebensmitteln ist während einer Haft stark eingeschränkt und finanziell durch ein Monopol der Firma Massak GmbH enorm belastet. Zudem werden die staatlich servierten Mahlzeiten meist einzeln in der Zelle eingenommen. Dies verstärkt den ohnehin desintegrierenden Charakter der Haft. A good theory in theory ist ein Dialog mit Inhaftierten und über deren Wunsch nach körperlicher Selbstbestimmung und zugleich eine Einladung an Vorbeigehende, sich beim Nachkochen der Rezepte über Theorien und deren Praxis auszutauschen.
Künstlerin
Belia Zanna Geetha Brückner (*Mönchengladbach) studierte zeitbezogene Medien an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg und am Goldsmiths, University of London. Ihre recherchebasierten Arbeiten wurden unter anderem mit dem Karl H. Ditze-Preis und mit dem Max Ernst-Stipendium ausgezeichnet und in Einzel- sowie Gruppenausstellungen im Kunstverein Dortmund (2024), im Künstlerhaus Bethanien Berlin (2024), im Kunstverein Gastgarten Hamburg (2024), im City Surfer Prag (2023), der Goldsmiths University London (2023) und dem EIGEN+ART Lab Berlin (2022) gezeigt. Von 2023 bis 2024 war sie Trägerin des Stipendiums der Hamburger Kulturstiftung zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses.
Ausstellungsreihe „Re-Framing“
A good theory in theory ist Teil der Ausstellungsreihe „Re-Framing“ in den Posterrahmen im Außenbereich der GAK. In mehreren aufeinander folgenden Einzelpräsentationen nehmen die eingeladenen Künstler*innen Sprache zum Ausgangspunkt, um in das spannungsreiche Verhältnis zwischen Wort und Bild zu intervenieren. Sie unterbrechen gewohnte Sehweisen, reflektieren (Un-)Sichtbarkeiten oder schaffen Intimität im Öffentlichen.
ZUCKER / künstlerisch-kuratorische Allianz zwischen NEBYULA (München) und der Galerie Mitte (Bremen)
15.11.2024 – 15.02.2025
Vernissage: 15.11.2024, 19 Uhr
Finissage: 15.02.2025, 15 Uhr
Künstler*innen: The Berg, Marco Fusinato, Kira Keune, Luise Marchand, Rosanna Marie Pondorf, Anna Raczynska, Renen / g.i.i.c.s:, Alexander Scharf, Lazar Stojić, Joseph Maurus Wandinger
Kurator*innen: Rebekka Kronsteiner, Kalas Liebfried
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MONEY talks, so shut the fuck up and listen. Diese Zeile aus Domo Genesis’ Track Power Ballad trifft den Kern unserer angestrebten Auseinandersetzung: das unausgesprochene Verhältnis zwischen Geld und Macht, die feine Grenze zwischen Schweigen und Bekenntnis, die unsere Realität prägt. In einem System, das sich auf die althergebrachte Maxime »Über Geld spricht man nicht« stützt, kann nur etwas verändert werden, wenn dieses Schweigen durchbrochen und die unausweichliche Wechselwirkung zwischen Kapital und Kultur – ideell und materiell – seziert wird.
Vor diesem Hintergrund entsteht die künstlerisch- kuratorische Allianz zwischen NEBYULA, München, und der Galerie Mitte, Bremen: eine Zusammenarbeit, die sowohl geographische als auch wirtschaftliche Gegensätze aufzeigt. Während Bayern das derzeit wirtschaftlich stärkste Bundes land Deutschlands ist, steht Bremen am anderen Ende des Spektrums. Doch in dieser Divergenz zeigen sich, die Kunst betreffend, überraschend ähnliche systematische Herausforderungen: prekäre Arbeitsverhältnisse, unzureichende Finanzierung und ein oft unerreichbarer institutioneller Anschluss für Kunst- und Kulturschaffende. Die Kurator:innen dieses Projekts Rebekka Kronsteiner und Kalas Liebfried sind selbst Künstler:innen, die sich mit der Schaffung von Kunsträumen und Off-Spaces sowie der Aushandlung und Umstrukturierung sozialer, ökonomischer und kultureller Bedingungen befassen.
ZUCKER ist eine Plattform, die explizit auf Themen der Wertschöpfung, Konsumismus und Klassismus aus gerichtet ist – Komplexe, die im Betriebssystem Kunst allgegenwärtig, aber oft tabuisiert sind. Die zehn involvierten Künstler:innen nähern sich diesen Fragen durch ihre Praxis und ihren Hintergrund als Kulturarbeiter:innen an. Die Auseinandersetzungen umfassen Themen wie Infrastruktur und Institutionskritik (Renen/g.i.i.c.s.), Glücks spiel und Selbstermächtigung (Kira Keune), die Im/Materialität von Wertschöpfungen (Rosanna Marie Pondorf), Systeme der Teilhabe, Schuld und Ressourcenverwendung (Joseph Maurus Wandinger), das ambivalente Verhältnis zwischen Konsument:innen und Kunstinstitutionen (The Berg). Zucker als Lockmittel in VR-Welten (Alexander Scharf), Anarchismus und Publikation (Marco Fusinato), die verstörenden, entfremdeten Qualitäten des Geldes (Luise Marchand), Statussymbole als Artefakte der Post moderne (Lazar Stojić) und das Verhältnis zwischen Euro und Ernte (Anna Raczynska).
ZUCKER ist eine Metapher. Einerseits ein Konsummittel, das kurzfristige Energie liefert, andererseits ein Verweis auf den Rohstoff als Währung und auf die problematische Vergangenheit Europas, insbesondere der Hansestädte im Kolonialhandel – ein Symbol für die Verflechtung von ökonomischer Macht und kulturellem Kapital. In diesem Sinne werden die Inputs und Outputs der Szenen beider Städte, inklusive thematisch dazu kuratierter Werke, zu einer Allianz für die drängenden Fragen unserer Zeit: ein Raum, der nicht nur zur Reflexion auffordert, sondern zur Diskussion einlädt und zum Handeln aufruft.
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Öffnungszeiten: Do-So /15-18 Uhr und nach Vereinbarung
Merh Infos unter:
Galerie K Strich
Francisco Valença Vaz: Radikaler Optimismus
Es gibt diesen Moment, in dem man eine Plastiktüte voller Tomaten nach Hause trägt und merkt, wie Tomaten und Tüte eine zarte Verbindung miteinander eingehen. Die Tomaten wirken trotz oder gerade wegen ihrer transparenten Hülle aus Mikroplastik frisch und aromatisch. Der Konsum erscheint als Versprechen auf mehr — Hoffnung, Zufriedenheit, vielleicht sogar Erlösung.
In der Werkgruppe Radikaler Optimismus erhalten alltägliche Objekte eine neue Gegenwart. Auf einem Bildschirm verwandeln sich Haltegriffe, Aschebecher und Reifen in heilige Artefakte. Sie erstrahlen einerseits in ihrem warenfetischistischen Glanz; gleichzeitig sind sie mit Hoffnungen und Wünschen aufgeladen. Ein animierter Autoreifen rotiert um die eigene Achse; an seiner Außenseite sind Symbole von Sternzeichen zu sehen. Man denkt an migrantische Bewegungen und an frühere Seefahrer, die den Konstellationen der Sterne folgten.
Verglichen mit typischen kapitalistischen Symbolen – Hamburger oder Coca-Cola-Dosen – scheint so ein rotierender Reifen sehr viel abstrakter zu sein. Obwohl eine Ästhetik des Konsums erhalten bleibt, schimmert auch das Moment einer universellen Hoffnung durch die glänzende Oberfläche hindurch.
Galerie K Strich
Michael Schmid: Interior/Exterior
Hier haben wir einen Mann – er hat die Abfälle des vergangenen Tages in der Hauptstadt aufzusammeln. Alles, was die große Stadt fortwarf, alles, was sie verlor, alles, was sie verachtete, alles, was sie zertrat – er legt davon das Register an und er sammelt es. Er kollationiert die Annalen der Ausschweifung, das Capharnaum des Abhubs; er sondert die Dinge, er trifft eine kluge Wahl; er verfährt wie ein Geizhals mit einem Schatz und hält sich an den Schutt, der zwischen den Kinnladen der Göttin der Industrie die Form nützlicher und erfreulicher Sachen annehmen wird.
Aus: Charles Baudelaire: Wein und Haschisch, 1851. Übertragung von Walter Benjamin, erschienen in: Gesammelte Schriften 1, 1974