Jemand merkte damals an, Authentizität – das Bedürfnis nach Natürlichkeit, Wahrhaftigkeit und Ursprünglichkeit – war vielleicht schon immer wie ein wildes Tier im Zoo. Sie wirke in all ihrer Wildheit doch eher traurig und harmlos. Sie könne sich aufbäumen, brüllen und die Zähne zeigen – aber alles unter dem Applaus des danach geifernden Publikums auf der anderen Seite des Zaunes. Nun wurden mittlerweile nicht die Zoos und wilden Tiere abgeschafft, sondern vielmehr alles zum Zoo erklärt. Warum also sollte das Publikum heute nicht leidenschaftlich gemeinsam mit den Löwen brüllen?
Felix Dreesen zeigt selten, auf welcher Seite des Zaunes er gerade steht. Den Ausgangspunkt seiner Untersuchungen bilden informelle und transgressive Aktionen in und um den Bremer Außenraum. Oft verbindet er sich dafür mit Anderen. So floßte er mit Stephan Thierbach in Flussgeschwindigkeit die Weser von Kassel bis Bremerhaven hinab – in einem fließenden Wahrnehmungsmodus durchquerten sie ein mächtiges Bühnenlandschaftsbild. Dabei dokumentierte eine Fotofalle selbstständig die wechselnden Eindrücke. Ganz anders gehen Trainspotter vor: Sie warten ungezählte Stunden, um zumeist analoge Fotos von Lokomotiven, Verkehrsinfrastrukturen und Landschaften zu schießen. Dreesen betrachtet ihre immensen Bildarchive, die sie hinsichtlich technischer Daten sowie landschaftlicher Kriterien besprechen und bewerten. Beispielsweise kann bei ihrer Jagd nach dem vermeintlich authentischen Blick ein nicht gewollter Schattenwurf von Wolken zum Schadensfall erklärt werden.
Im Ausstellungsraum befragt Dreesen die Zeugnisse dieser Aktionen nach ihrer Aussagekraft sowie nach ihren politischen Potentialen im Verhältnis zu seinen Intentionen. Lässt sich eine Handlung in ein Ding verwandeln ohne harmlos zu werden? Kann ein Prozess als eine Reihe von Handlungen archiviert werden, oder muss dieser sich nicht gerade seiner Historisierung entziehen? Die Ergebnisse können auch die zur Schau getragenen Enttäuschungen sein oder auch die Darstellung der Vergänglichkeit der Aktivität an sich.
„Landschaft ist ohne Haus nicht denkbar“, schreibt Heinrich Vogeler. Denn Landschaft ist ein Kulturbegriff, der nur in der anthropozänen Relativität besteht. Was natürlich, was wahrhaftig und was ursprünglich ist, können wir nur noch spekulativ beantworten. Mit der Authentizität verhält es sich wohl wie mit den Einhörnern: Es gibt sie irgendwie, weil ein so starkes Bedürfnis nach ihrer Erzählung besteht.
Kuratiert von Sarah Maria Kaiser, Anne Storm und Tim Voss.
Es findet ein umfassendes Begleitprogramm zur Ausstellung statt, welches sich einer vertiefenden Vermittlung zentraler Aspekte von Dreesens künstlerischem Ansatz und thematischen Setzungen widmet.
Felix Dreesen (*1987 in Bremen) studierte von 2008-2016 Bildhauerei bei Yuji Takeoka und Natascha Sadr Haghighian an der Hochschule für Künste Bremen, wo er 2017 Meisterschüler bei Natascha Sadr Haghighian war. Dreesen lebt und arbeitet in Bremen. Dreesen ist Preisträger des Karin Hollweg Preises 2017. Die Ausstellung Von Wolkenschäden in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst ist seine erste institutionelle Einzelausstellung.